Eine sektorale Heilpraktiker-Erlaubnis in Chiropraktik?
Anmerkung zum Chiropraktik-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Seit vielen Jahren hat sich zunehmend die Praxis der Gesundheitsämter etabliert, Heilpraktikererlaubnisse beschränkt auf bestimmte „Sektoren“ zu erteilen. Entscheidendes Kriterium für eine Eignung als Sektor ist, ob ein Tätigkeitsgebiet „hinreichend abgrenzbar“ ist, und das ist bei Gesundheitsfachberufen wie der Physiotherapie, Logopädie und Podologie deshalb kein Problem, weil sie nicht nur Heilkunde sind, sondern in jeweils eigenen Berufsgesetzen geregelt sind. Die Abgrenzbarkeit ergibt sich hier qua Gesetz.
Die Osteopathie ist nicht gesetzlich geregelt, und auch auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts gibt es – anders als etwa in der Manuellen Therapie als spezieller Qualifikation für Physiotherapeuten nach den Heilmittelrichtlinien – keine Regelungen. Das BVerwG hat 2019 einen Sektor Osteopathie wegen fehlender klarer Abgrenzbarkeit verneint.
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat 2019 auch für die Chiropraktik die Eigenschaft als Sektor verneint. Die fehlende Abgrenzbarkeit ergebe sich schon daraus, dass sie in Deutschland nicht gesetzlich geregelt sei.
Man könnte meinen, dass der Chiropraktik damit dasselbe Schicksal beschieden ist wie der Osteopathie. Dafür mag auf den ersten Blick auch sprechen, dass es zwischen den in Deutschland „gängigen“ Disziplinen der Chirotherapie, der Chiropraktik, der manuellen Therapie und der Osteopathie Überschneidungen gibt, die gegen eine Abgrenzbarkeit sprechen könnten.
Indes: zwischen Osteopathie und Chiropraktik gibt es Unterschiede. Das zeigt in aller Deutlichkeit das kürzlich ergangene Urteil des BVerwG, mit dem die Entscheidung des VGH Mannheim aufgehoben wurde.
Das BVerwG hat jetzt – und weit klarer als je zuvor – betont, dass es für die Abgrenzbarkeit eines Tätigkeitsgebiets im Gesundheitsbereich nicht etwa einer Regelung durch den deutschen Gesetzgeber bedarf. Die Ausdifferenzierung der Gesundheitsberufe richte sich nicht in erster Linie nach normativen Vorgaben des Gesetzgebers, sie beruhe vielmehr auf „tatsächlichen Entwicklungen“. Das BVerwG sagt, die Spezialisierung – wie die in der chiropraktischen Behandlung - finde in der Praxis auch dort statt, wo der Gesetzgeber entsprechende Regelungen (noch) nicht getroffen habe.
Und hier wird das Gericht noch präziser: „Die Herausbildung eigenständiger Berufe kann dabei auch auf dem Entstehen privater Ausbildungseinrichtungen mit eigenen Lehr- und Prüfungsstandards beruhen“. Das Gericht hebt hervor, dass die Chiropraktik international vielfach als eigenständiger Berufszweig Anerkennung gefunden hat und in vielen Ländern, auch EU-Staaten, staatliche Regulierungen zu Ausbildung und Berufsausübung erlassen worden sind“.
Das BVerwG nimmt ganz konkret Bezug auf das Berufsbild der sog. Chiropraktoren. Hierbei handelt es sich um ein aus dem Ausland (z.B. Frankreich, Groß-Britannien, Schweiz) kommendes Berufsbild, basierend auf einem i.d.R. 5-jährigen akademischen Studium. Es gibt etwa 200 Chiropraktoren, die in Deutschland – als Heilpraktiker – arbeiten.
Zwar gibt es auch bei diesem Berufsbild Überschneidungen mit den oben genannten Disziplinen. So konzentrieren sich Chiropraktoren nach ihrem eigenen Verständnis bei der Diagnostik und Behandlung auf die funktionale Beweglichkeit und das feine Zusammenspiel von Wirbelsäule, Gelenken und Muskulatur.
Das Spezifische an diesem Berufsbild ist aber, dass es im EU-Ausland, Groß-Britannien und der Schweiz sowie auch in den USA und Kanada gesetzlich geregelt ist, und dies auf der Grundlage der Kategorie I A der „WHO-Richtlinien zu den Mindestanforderungen an das Studium und zur Sicherheit in der Chiropraktik“. Durch das Studium verfügt ein Chiropraktor zusätzlich zur Chiropraktik über fundierte Kenntnisse u.a. in der Allgemeinmedizin, Neurologie sowie Radiologie.
Dass es in Deutschland auch andere Berufsverbände im Bereich der Chiropraktik gibt, steht, so das BVerwG, dieser klaren Definition des chiropraktorischen Berufsbildes nicht entgegen.
So verwundert es nicht, dass es dieses in Deutschland noch wenig etablierte Berufsbild der Chiropraktoren ist, das jetzt als „Muster“ klarer Abgrenzbarkeit einer Tätigkeit auf dem Gebiet der Chiropraktik fungiert. Auch wenn der VGH Mannheim sich nochmals - und gründlicher als zuvor - mit dieser Frage befassen muss, darf man sich fragen, was angesichts der klar umrissenen Regelung des Studiums dann noch gegen die Abgrenzbarkeit dieses Berufsbildes sprechen soll.
Wäre der Sektor Chiropraktik durch dieses Berufsbild definiert, dann wäre aber noch nichts darüber ausgesagt, wer „in der Chiropraktik“ die sektorale Heilpraktikererlaubnis erhalten kann. So ist im Fall des BVerwG der Kläger ein ausgebildeter orthopädisch-manueller Therapeut (OMT) mit einem abgeschlossenen Studium in Krems (Österreich).
In engem Zusammenhang mit diesem Aspekt steht die Frage, ob ggf. auf eine Überprüfung der Kenntnisse des Bewerbers ganz oder teilweise verzichtet werden kann. Näheres sagen dazu die Leitlinien zur Heilpraktikerüberprüfung von 2017. In Ziff 1.6.5 heißt es da:
Verfügt die antragstellende Person über eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung in einem für die sektorale Heilpraktikererlaubnis einschlägigen bundesgesetzlich geregelten Heilberuf, kann die Überprüfung auf Kenntnisse und Fähigkeiten beschränkt werden, mit denen die antragstellende Person zeigt, dass sie in der Lage ist, die Lücke zwischen der vorhandenen Berufsqualifikation und der eigenverantwortlichen Ausübung von Heilkunde zu schließen, wobei diese Beschränkung insbesondere in einem Verzicht auf einen schriftlichen Teil der Überprüfung zum Ausdruck kommen kann. (Herv.d.d.U.)
Bundesgesetzlich gibt es zur Chiropraktik keine Regelung. Wenn es aber schon für die Frage der Sektoreigenschaft nicht Bedingung ist, dass der nationale Gesetzgeber ein Berufsbild geregelt hat (s.o.), dann muss auch der zitierte Text in den Leitlinien so verstanden werden, dass es für eine Beschränkung der Überprüfung nicht darauf ankommen kann, dass der betreffende Heilberuf bundesgesetzlich geregelt ist.
In diesem Sinne haben deshalb früher schon mehrere Verwaltungsgerichte entschieden, dass Chiropraktoren, die jeweils geklagt hatten, wegen ihrer umfangreichen, im Ausland staatlich anerkannten Ausbildung keiner Überprüfung mehr bedurften.
Wenn die Rechtsprechung den Sektor Chiropraktik etabliert, dann bleibt abzuwarten, ob und inwieweit sie konkretere Kriterien für die Überprüfung vorgibt.
Dr. Rolf Jungbecker
Rechtsanwalt
Dostal & Sozien, Rechtsanwälte
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