Interview mit Manfred von Ardenne 1988
Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie
Möglichkeiten und Grenzen der Prävention, Therapie und Rehabilitation
tpk: Herr Professor von Ardenne, wie kommt ein Wissenschaftler, der für die Entwicklung der Fernsehtechnik, des Röntgenbildwandlers und des Rasterelektronenmikroskopes richtungsweisend war, letztlich zur Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie?
Prof. von Ardenne: Wie wir ausgerechnet zum Sauerstoff kommen? Sauerstoff ist der Engpass für die gesamte Energiebereitstellung, für die Bildung energiereicher Verbindungen, wie beispielsweise Adenosintriphosphat. Von der Physik kommend, ist für mich die Energie ein außerordentlich entscheidender Faktor und mir war völlig klar, dass diese Frage auch für den menschlichen Organismus eine zentrale Bedeutung hat. Ich war eigentlich überrascht, wie wenig dieses Problem im medizinischen Bereich berücksichtigt wurde bei Diagnostik, Prävention, Prophylaxe, Therapie und Rehabilitation. Denn auch die gesamten Immunmechanismen sind energiefordernder Natur und es ist einleuchtend, dass man auch unter diesem Aspekt Wege beschreiten sollte, die energetische Situation zu verbessern. Das gilt insbesondere für den seit langer Zeit stagnierenden Bereich der Tumor-Immunologie.
tpk: Welches sind die physikalisch-medizinischen Grundlagen Ihrer O2MT und was leistet sie letztlich?
Prof. von Ardenne: Wir befragten die Natur durch Messungen und fanden überraschenderweise, dass es einen Schaltmechanismus für die Beeinflussung der Energielage im Organismus gibt, der vom Sauerstoffdruck im kapillarvenösen Bereich abhängt. So führen Sauerstoffdefizite zur Schwellung von Endothelzellen am venösen Ende der Kapillaren, damit zu einer den Blutfluss senkenden Querschnittsverringerung und über eine Abnahme der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes zu einer nochmaligen Verschlechterung der Energielage. Aus dem geschilderten Vorgang ist abzuleiten, dass hier ein Schaltmechanismus mit anhaltender Wirkung vorliegen muss. Umgekehrt verbessert ein guter Sauerstoffwert anhaltend die kapillare Durchblutung, die Sauerstoffversorgung und damit den gesamten Energiestatus. Dies sind Vorgänge, die in negativer Richtung beim Herzinfarkt ablaufen und in positiver Richtung beim Ausdauertraining des Sportlers und bei der O2-Mehrschritt-Therapie. So zeigten Messungen, dass eine durch Alter und Stress verschlechterte Energiebilanz durch eine intelligente Applikation von Sauerstoff – in Verbindung mit spezifischen Pharmaka – wieder anhaltend verbessert werden kann und zwar anhaltend für Wochen, Monate bis Jahre, abhängig von der Lebensweise, zu der der Patient übergeht.
tpk: Bei welchen Krankheitssymptomen ist die O2MT angezeigt?
Prof. von Ardenne: Beim alten oder gestressten Menschen, wenn der Sauerstoffstatus sich verschlechtert, treten die verschiedensten Krankheitssymptome auf. Das Gesamtspektrum reicht von Herz-Kreislauf-Beschwerden über Durchblutungsstörungen des Gehirns oder der Extremitäten bis letztlich zu schweren Leberschäden. Alle Beschwerdebilder haben eine gemeinsame Ursache: Sauerstoff- und Energiemangel. Aus diesem Grunde hat die O2-MT eine universale Bedeutung für nahezu alle altersbedingten Erkrankungen. Außerdem kann man messen, wie sich Sauerstoff- und Energiestatus beispielsweise bei Infekten, Angina pectoris, Herzinfarkt, schweren Durchblutungsstörungen oder letztlich auch Diabestes verschlechtern. Selbst das Herannahen einer Krise ist messbar und der Arzt kann frühzeitig therapeutisch intervenieren. Das scheint mir die Zukunft zu sein: Präventivmedizin, die nicht abwartet, bis sich die Symptome einer Krankheit manifestiert haben.
tpk: Welche therapeutischen Konsequenzen sind aus diesen Befunden abzuleiten?
Prof. von Ardenne: Neben den erwähnten Effekten kann, glaube ich, künftig der Medikamentenkonsum stark reduziert werden. Außerdem können die dramatischen Nebenwirkungen vieler Pharmaka, wie Zytostatika oder lebenslang anzuwendende Neuroleptika, zum Teil erheblich gemildert werden.
tpk: Sie beschreiben für die O2-MT eine funktionelle Stärkung des Immunsystems. Wird Ihr Verfahren in der Prophylaxe und Therapie von HIV-Positiven erfolgreich einzusetzen sein?
Prof. von Ardenne: Wie bereits bei etwa 10.000 Patienten mit Chemotherapie beobachtet wurde, können mit der O2-MT bei immunsupprimierten Patienten Lebenserwartung und -qualität gesteigert werden. Diese Tatsache gilt sicherlich auch, zumindest in der Terminalphase, für die erworbene Immunschwäche AIDS. Doch wird die Anwendung der O2-MT bei AIDS Aufgabe weiterer Forschung sein.
tpk: Sauerstoff besitzt, zumindest in reiner Form, bei vielstündiger Applikation eine hohe Toxizität. Stichwort wären hier die sogenannten freien Sauerstoffradikale. Konnten bei Ihrer Therapie Komplikationen beobachtet werden?
Prof. von Ardenne: Bei langfristigen Sauerstoffapplikationen (z. B. 36-Stunden-Prozess) arbeiten wir nicht mit reinem Sauerstoff sondern verdoppeln lediglich den Sauerpartialdruck in der Lunge; das ist problemlos möglich. Unter dem Aspekt der freien Radikale diskutieren einige Autoren nach der O2-MT eine Erhöhung des Schutzenzyms gegen aggressive Sauerstoffgruppen. Reinen Sauerstoff geben wir bei den Schnellprozessen 15 Minuten lang und sind damit weit entfernt von toxischen Dosierungen. Bei mehr als 100.000 O2-MT-Behandlungen in etwa 400 Zentren wurde bislang kein einziger Zwischenfall beobachtet.
tpk: Herr Professor von Ardenne, wo können sich interessierte Ärzte über Ihre O2-MT informieren?
Prof. von Ardenne: In unserem Institut 8051 Dresden. Auf Anforderung übersenden wir Sonderdrucke über die verschiedenen Varianten der Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie sowie eine Liste der nach unseren Konzepten arbeitenden bzw. ausbildenden Zentren für Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie.
Dieses Gespräch führte Dr. Rolf-Günther Sommer für therapeutikon.
therapeutikon, 01. Januar 1988