Moderne virustatische Phytotherapie bei Herpes simplex
Von den acht Arten humaner Herpes-Viren treten HSV Typ I (Mundregion), HSV Typ II (Genitalregion) sowie das Varizella Zoster Virus (VZV) am häufigsten auf und führen zu den typischen Epithelzellen-Infektionen der Haut. HSV-I-Infektionen, aufgrund ihrer Lokalisation Lippenherpes genannt, sind unangenehm, rezidivierend und für Betroffene oft eine psychische Belastung. Zur lokalen Behandlung sind heute zwei Therapieformen mit ganz unterschiedlichen Wirkansätzen relevant: die intrazelluläre Replikationshemmung der Nukleosidanaloga und die extrazelluläre Rezeptorblockade mit phytotherapeutischem Melissenextrakt. Welche Therapieform ist geeigneter?
In Europa sind ca. 90% der Menschen mit dem Herpes simplex-Virus (HSV) infiziert. Die Erstinfektion erfolgt regelmäßig in der Kindheit durch Hautkontakt, Tröpfcheninfektion oder den Kontakt mit virenbehafteten Gegenständen wie Gläsern, Besteck oder Handtüchern. Die meisten Infizierten sind ein Leben lang symptomfrei: Pro 100 Einwohnern treten jährlich nur fünf bis 24 symptomatische Fälle auf. Warum das so ist, konnte bislang wissenschaftlich nicht entschlüsselt werden.
Betroffene leiden lebenslang unter Rezidiven
Nach der Erstinfektion mit HSV ist die kutane Ausprägung variabel. Nicht nur im Mundbereich sondern auch in der weiteren Gesichtsregion kann es zur Affektion großer Hautareale kommen. Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem wie z. B. Atopikern kann die Infektion an der Lippe beginnen und zur schnell voranschreitenden Generalisierung führen. Eine amerikanische Studie beobachtete endogene Re-Infektionen bei ca. 30% der infizierten Patienten, wobei die rekurrierende Infektionsrate bei ca. 1% liegt (1).
In Form seiner puren Erbinformation kann das Virus für das Immunsystem unerkennbar und daher unangreifbar in den Nervenzellen überdauern, zu denen es über die sensorischen Nervenbahnen wandert. HSV-I nutzt typischerweise das Ganglion trigeminale für ein lebenslanges Erregerreservoir. Bei Provokation des Immunsystems des Infizierten kommt es zu einem endogenen Rezidiv. Jeder akute HSV-Schub führt dann zur Infektion von Epithelzellen der Haut und assoziierten Neuronen.
Therapieziel: Verhindern der Virusreplikation
Das Herpes-Virus weist eine lineare Doppelstrang-DNA auf, die sich in einem ikosaedrischen Kopf (Capsid) befindet. Es ist von einer Rezeptor-durchsetzten Membran umgeben und breitet sich über Zell-Zell-Kontakt aus. Die Behandlung der lokalisierten Herpes-Infektion zielt im Wesentlichen auf eine Hemmung dieser Virusvermehrung. Bei der Adsorption an die epidermale Wirtszelle docken die Herpesviren mittels spezifischer Rezeptoren an. Anschließend penetriert das Virus in die Wirtszelle und beginnt mir seiner rasanten Replikation. Ziel der HSV-Therapie ist es somit, eine Wirtszellzerstörung und weitere Ausbreitung zu vermeiden. Tatsächlich gelingt es modernen Lokaltherapeutika, einen akuten Herpes-Ausbruch zu lindern oder bestenfalls einzudämmen.
DNA-Veränderung durch Nucleosidanaloga
Bei der Therapie der kutanen HSV-Infektion unterscheidet man zwei Angriffspunkte. Im Fall der generalisierten Infektion, wie z. B. beim Eczema herpeticatum, kommt es auf Grund der gestörten Immunitätslage zu einer ungebremsten Virusvermehrung. Hier hat sich eine systemische Therapie mit Nucleosidanaloga vom Typ des Aciclovir zur intrazellulären Replikationshemmung bewährt: Bei der Vermehrung der Herpes-Viren in der Wirtszelle wird ein „falscher Baustein“ eingesetzt, der zum Abbruch der neu gebildeten Virus-DNA-Ketten führt. Als Folge wird die Anzahl infektionsfähiger Viren reduziert. Verbleibende Viren können jedoch weiter neue Wirtszellen penetrieren. Da Aciclovir in die zelluläre DNA eingebaut wird, stellt es ein chromosomales Mutagen da. Daher ist die systematische Therapie mit Aciclovir z. B. während der Schwangerschaft problematisch.
Resistenzentwicklungen bei Nucleosidanaloga
Darüber hinaus induzieren Nucleosidanaloga, die sich durch Hemmung der intrazellulären Herpes-DNA-Polymerase auszeichnen, in unterschiedlichem Maße Resistenzen (2, 3). Eine niederländische Studie hat bereits 2005 gezeigt, dass die Resistenzen-assoziierten Mutationen des viralen Thymidin-Kinase-Gens bei immunkompetenten Patienten mit knapp 0,3% noch recht niedrig, bei immunsupprimierten HIV-Patienten mit 7% jedoch hoch sind (4). Seitdem mehrt sich Kritik an einer selbstverständlichen Behandlung lokaler HSV-I-Infektionen mit Nucleosidanaloga, welche die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen systemischen Therapie im Falle einer generalisierten Infektion reduziert. Mit glykosidisch gebundenen Phenolcarbonsäuren und deren Polymeren in konzentriertem Melissenextrakt steht eine ausgezeichnete Alternative für die Lokalbehandlung zur Verfügung.
Rezeptorblockade hemmt Virus-Penetration
Im Unterschied zur intrazellulären Replikationshemmung kommt es bei dem Wirkprinzip der extrazellulären Rezeptorblockade durch wässrigen Melissenextrakt zu einer Hemmung der Virusadsorption und somit überhaupt nicht erst zum Eindringen des Virus in die Zelle. Im Idealfall wird damit eine Zerstörung potentieller Wirtszellen vermieden und dem Virus erst gar keine Chance zur Vermehrung gegeben. 1978 haben May und Willuhn (5) erstmals in einer experimentellen Untersuchung an Zellkulturen aufgezeigt, dass die Ausbreitung von HSV durch verschiedene wässrige Pflanzenextrakte gehemmt werden kann. Bereits in diesen Studien, die mit über 170 Heilpflanzen durchgeführt wurden, zeigte wässriger Melissenextrakt die potenteste Wirkung. Es konnte in einem Plaquetest gezeigt werden, dass dosisabhängig durch Melissenextrakt eine nahezu vollständige Protektion der Zellen erreicht wird. Flüssigkeitschromatographisch ergaben sich Hinweise, dass die Wirksubstanzen im wässrigen Melissenextrakt im wesentlichen Rosmarinsäure, Kaffeesäure und Chlorogensäure, also Polycarbonsäuren, sind.
Heidelberger Untersuchung bestätigt signifikanten extrazellulären Schutz
Aktuell wurde eine Untersuchung von Nolkemper und Mitarbeitern am Institut für Virologie der Universität Heidelberg durchgeführt (6). Dort wurde die antivirale Wirkung wässriger Lamiaceen-Extrakte auf HSV-I und HSV-II erforscht. Bei den sechs untersuchten Pflanzen (Braunelle, Melisse, Pfefferminze, Rosmarin, Salbei, Thymian) waren wiederum Rosmarinsäure und Kaffeesäure wesentliche „Fingerprints“.
Der anti-herpetische Effekt der wässrigen Lamiaceen-Extrakte konnte dem Gehalt an Rosmarin- und Kaffeesäure zugeordnet werden, wobei speziell der Melissenextrakt einen besonders hohen Selektivitäts-Index (SI 900) aufwies. Die Untersuchungen der Heidelberger Arbeitsgruppe machen deutlich, dass die Penetration von HSV in Wirtszellen durch konzentrierten Melissenextrakt signifikant gehemmt wird, wobei eine Interaktion des Extraktes sowohl mit Strukturen der Virushülle als auch der Wirtszelle erfolgt. Freie, extrazelluläre Viren werden vor der Adsorption in die Wirtszelle inaktiviert, nicht aber nach Penetration in die Zellen. Die lokale Behandlung der Herpes-Infektion mit hochdosiertem, wässrigen Melissenextrakt ist daher besonders geeignet.
Melissenextrakt in Prävention und Therapie signifikant überlegen
Klinische Untersuchungen haben deutlich gemacht, dass durch die lokale Anwendung von Melissenextrakt in einer Cremegrundlage (Lomaherpan®) mit Beginn der Behandlung die Ausdehnung des vom HSV erfassten Areals gehemmt und die Infektion limitiert wird. In einer bereits 1988 durchgeführten placebokontrollierten Therapiestudie (7) ist die signifikant schnellere Rückbildung des Befallsareals durch Melissenextrakt-haltige Creme im Vergleich zu Placebo belegt worden, wenn die Lokaltherapie unter sechs Stunden nach Beginn der Symptome einsetzte. In einer Meta-Analyse placebokontrollierter Doppelblindstudien mit Melisse und Aciclovir konnte gezeigt werden, dass die Größe der Affektion nach fünf Therapie-Tagen mit Melissencreme stärker rückläufig war als bei Aciclovir (8). Bei noch früherem Beginn der Behandlung und Bewertung nach zwei Tagen Therapie konnte gegenüber Placebo eine besonders deutliche Reduktion des Befallsareals bei Melissentherapie im Vergleich zur Gabe von Aciclovir dargestellt werden. Wie an Fallbeobachtungen gezeigt werden konnte, bewirkt sogar die präventive Rezeptorblockade durch Melisse, z. B. bei Anwendung als Lippenstift (LomaProtect), eine Verringerung der Rezidivrate im Befallsareal.
Resümee
Zusammenfassend ergibt sich, dass sich Rezeptorblocker vom Typ des Melissenextraktes, die das Virus außerhalb der Zelle blocken, zur topischen Therapie und Prävention lokaler Herpes-Infektionen besonders eignen. Melissenextrakt ist im hohen Maße verträglich, so dass es in der Anwendung keine Einschränkungen gibt. Replikationshemmende Nucleosidanaloga, die erst in der Zelle angreifen, sollten vorrangig der systemischen Therapie bei Generalisierung vorbehalten bleiben. Insbesondere bei Patienten mit Immundefekten sollten sie nicht zur externen oder präventiven Therapie bei rezidivierendem Herpes eingesetzt werden, um die Resistenzentwicklung zu vermeiden.
Verfasser:
Dr. med. Rainer H. Wölbling
Leitender Arzt der Johann-Wilhelm Ritter-Klinik
Dermatologische Akut- und Reha-Klinik
Parkstraße 35-37
49214 Bad Rothenfelde
Tel: 0 54 24-1055 / Fax: 0 54 24-1056
e-mail: Dr.Woelbling@t-online.de
Literatur / Reference list
1. Ichihashi M, Nagai H, Matsunaga, K / Sunlight is an important causative factor of recurrent Herpes simplex
Cutis 2004; 74: 14-18
2. Chatis PA, Crumpacker C. / Resistance of Herpesviruses to Antiviral Drugs Antimicrobial Agents and Chemotherapy 1992; 36: 1589-1595
3. Nugier F, Colin JN, Aymard M, Langlois M / Occurrence and Characterization of Acyclovir – Resistant Herpes simplex Virus Isolates: Report on a Two-Year Sensitivity Screening Survey. J Med Virol 1992; 36: 1-12
4. Stranska R, Schuurmann R, Nienhuis E, Goedegebuure IW, Polmann M, Weel JF, Wertheim-Van Dillen PM, Berkhout RJ, van Loon AM. Survey of acyclovir-resistent herpes simplex virus in the Netherlands: prevalence and characterization. J Clin Virol 2005; 32: 7-18
5. May G, Willuhn G / Antivirale Wirkung wässriger Pflanzenextrakte in Gewebekulturen. Drug Res. 1978; 1: 28: -7
6. Nolkemper S, Reichling J, Stinzing FC, Carle R, Schnitzler P / Antiviral Effect of Aqeous Extracts from Species of the Lamiaceae Family against Herpes simplex Virus Type 1 and Type 2 in vitro. Planta Med 2006; 72: 1-5
7. Vogt HJ, Tausch I, Wölbling RH, Kaiser PM / Melissenextrakt bei Herpes simplex. Der Allgemeinarzt 1991; 13: 832-841
8. Koytchev R, Alken RG, Dundarov S / Balm mint extract (Lo-701) for topical treatment of recurring Herpes labialis. Phytomedicine 1999; 6: 225-230