Reichweite der ärztlichen Schweigepflicht
Die inhaltliche, personelle und zeitliche Dimension der ärztlichen Schweigepflicht ist oft nicht in vollem Umfang bekannt.
Ärzte haben nach ihrer Berufsordnung und dem Strafgesetzbuch über alles, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Arzt anvertraut wird, zu schweigen. Die Verletzung dieser Pflicht hat weitreichende Konsequenzen.
Inhaltliche Reichweite
Die ärztliche Schweigepflicht umfasst alle Tatsachen, die dem Arzt im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit bekannt werden. Der dadurch geschützte Bereich ist sehr weit auszulegen. Hierzu zählen insbesondere die Umstände, die sich auf den Gesundheitszustand und die familiären, beruflichen sowie finanziellen Verhältnisse des einzelnen Patienten beziehen. Die Rechtsprechung sieht bereits den Namen des Patienten und die Tatsache, dass sich dieser überhaupt in ärztlicher Behandlung befindet, als schutzwürdig an. Die Verschwiegenheitspflicht gilt auch bezüglich Geheimnissen, die der Arzt vom Patienten über Dritte erfährt, sofern der Patient an deren Geheimhaltung ein eigenes schutzwürdiges Interesse hat. Dies gilt beispielsweise bei einem positiven HIV-Test des Ehegatten oder bei Drogenkonsum eines Kindes.
Das ärztliche Berufsgeheimnis gilt im Rahmen der Ausübung des Berufs, aber nicht, wenn der Arzt als Privatperson in seiner Freizeit auftritt. Die Abgrenzung ist nicht immer ganz einfach. Befindet sich der Arzt beispielsweise auf dem Golfplatz und wird er als Freund über eine Krankheit informiert, unterliegt er nicht der Schweigepflicht. Wird er dort jedoch als Arzt um Rat gefragt, ist er zur Verschwiegenheit der ihm bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet.
Personelle Reichweite: Kollegen
Die ärztliche Schweigepflicht gilt gegenüber jedem Dritten, auch gegenüber anderen Ärzten sowie gegenüber Kollegen in einer Praxisgemeinschaft und für nicht gemeinsam angestelltes Personal. Dort müssen zwingend getrennte Patientenkarteikarten geführt und sichergestellt werden, dass keine Einsicht in die digital aufgenommenen Patientendaten möglich ist. Davon ausgenommen ist nur der Fall der gemeinsamen Behandlung des Patienten, da der Patient den Behandlungsvertrag mit der Gemeinschaftspraxis abschließt und von einem stillschweigenden Einverständnis zum Einblick und Austausch der Patientendaten durch alle Ärzte auszugehen ist.
Personelle Reichweite: Familienangehörige
Die Geheimhaltungspflicht gilt gegenüber allen Familienangehörigen des Patienten. Auch gegenüber Eltern von Minderjährigen, wenn die Kinder einsichtsfähig sind – also die Lage selbstständig beurteilen können. Es wird vermutet, dass bei Jugendlichen über 15 Jahren Einsichtsfähigkeit vorliegt. Bei Herausgabe der Patientenunterlagen an Dritte ist erforderlich – wie in allen anderen Fällen auch – eine schriftliche Schweigepflichtentbindungserklärung des Minderjährigen einzuholen. Liegt Einsichtsfähigkeit hingegen nicht vor, muss eine Schweigepflichtentbindungserklärung der sorgeberechtigten Eltern vorliegen.
Zeitliche Reichweite
Die ärztliche Schweigepflicht wirkt über den Tod des Patienten hinaus fort. Der Arzt darf daher grundsätzlich Erben, Angehörigen oder Dritten nach dem Tod eines Patienten keine Auskünfte erteilen oder Krankenunterlagen herausgeben. Davon ist dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Arzt zu dem Ergebnis kommt, dass seitens des verstorbenen Patienten eine mutmaßliche Einwilligung für die Offenbarung der Patientendaten vorliegt. Diese wird zum Beispiel für den Fall angenommen, dass die Testierunfähigkeit des Verstorbenen mithilfe der Patientenunterlagen festgestellt oder ein Behandlungsfehler durch die Erben des Verstorbenen geltend gemacht werden soll.
FAZIT:
Besprechen Sie sich mit Ihrem Anwalt, wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Sie Auskunft erteilen dürfen oder nicht.
Tim Müller, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in München